Wie sinnvoll sind geschlechtsumwandelnde Operationen?

Unter Geschlechtsdysphorie leiden Personen, die sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht wohlfühlen. In den letzten Jahren wurde in der Behandlung meist auf die Gabe von Hormonen und geschlechtsumwandelnde Operationen gesetzt. Jetzt gibt es international vermehrt Kritik, wie uns Bioethikerin Mag. Susanne Kummer in unserem Gespräch erklärt. Sie ist Geschäftsführerin des IMABE Instituts, welches aktuelle Studien und Entwicklungen zu Fragen der Medizin und Bioethik untersucht.

Heute hört man schon sehr oft von geschlechtsumwandelnden Operationen. Können Sie uns sagen, wie sich das die letzten Jahre entwickelt hat?

Man beobachtet da gerade einen hohen Anstieg. In Schweden zum Beispiel ist die Diagnosehäufigkeit bei Mädchen von 13-17 Jahren in 10 Jahren um 1500 Prozent gestiegen. In britischen Kliniken teilweise um 4500 Prozent. In einer Londoner Klinik, die gerade kritisch geprüft wird, waren es 2010 138 und 2020 2383 Kinder und Jugendliche, die ihr Geschlecht umwandeln lassen wollten. Überraschend ist auch, dass dieses Phänomen früher absolut mehrheitlich bei Burschen aufgetreten ist, die Mädchen sein wollten. Mädchen, die ein Junge sein wollten, waren in der Minderzahl. Heute ist das Gegenteil der Fall. In den USA etwa sind 70 Prozent der Betroffenen jetzt Mädchen, die Burschen sein wollen.

Was sind die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wenn man sozusagen mit seinem biologischen Geschlecht ein Problem hat?

Entgegen der Darstellung, wie wir sie gerade häufig in den sozialen Medien beobachten können, gibt es inzwischen Erhebungen, wo man sieht, dass man eigentlich die dahinterliegenden Probleme anschauen müsste. Psychiater sagen, dass 60-98 Prozent der Menschen, die sich in einer Unsicherheitsphase hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Identität bewegen, also die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren können, sich später mit ihrem biologischen Geschlecht aussöhnen. Heute stehen wir vor dem Phänomen, dass Eltern mit ihrem Kind in die Klinik kommen und fragen, wann ihr Kind Hormone und eine Geschlechtsumwandlung bekommt. Da haben bestimmte Videos auf TikTok usw. tatsächlich einen immensen Einfluss. In der Medizin gilt es aber, die gelindesten Maßnahmen anzuwenden mit dem größten Erfolg und den kleinsten Nebenwirkungen. Das wäre eindeutig die Psychotherapie und nicht eine Hormonbehandlung und eine Operation.

Warum nicht eine Hormonbehandlung?

Weil Hormonbehandlungen erhebliche Nebenwirkungen haben. Die Kinder und Jugendlichen sind mehr oder weniger ihr Leben lang von diesen Medikamenten abhängig und wenn damit vor der Pubertät begonnen wird, erleben sie sich nie als Junge oder Mädchen, weil die Pubertät blockiert wird. Deshalb gehen diese Jugendlichen dann auch den Weg der Transition mit Operationen beinhart zu Ende. Das bedeutet, dass sie für immer sterilisiert sind und das nie wieder rückgängig machen können.

Jetzt kommt es immer mehr zu Kritik aus der Fachwelt. Können Sie etwas dazu sagen?

Man sieht, dass die Länder, in denen diese Praktiken weiter fortgeschritten sind, jetzt wieder zurückrudern. In Schweden hat die nationale Gesundheitsbehörde eine riesige Studie in Auftrag gegeben, die besagt, dass die Schäden an den Kindern größer sind als der Nutzen. So erleben wir gerade Schweden, Großbritannien Frankreich, Finnland und jetzt auch Deutschland, wo die medizinische Fachgesellschaften der Reihe nach präzise Leitlinien herausgeben. Eine Hormonbehandlung wird jetzt etwa in Schweden unter 18 völlig verboten. Gleichzeitig gibt es eine immer größere Bewegung der sogenannten „Detransitioners“. Das sind junge Menschen, die eine Transition durchgemacht haben. Z.B. eine junge Frau, die zum Mann umoperiert wurde, und die jetzt sagt, ich fühle mich verstümmelt und will eigentlich zu meinem eigentlichen Geschlecht zurück. Sie fühlen sich betrogen und haben auch schon Klagen gegen Transgender-Kliniken eingereicht. Selbsthilfegruppen haben den Welt-Detrans-Tag eingeführt, um auf ihr Leid aufmerksam zu machen und um politischen Druck auszuüben, damit anderen dieses Leid erspart bleibt.

Warum wird es eigentlich von vielen heute überhaupt akzeptiert, dass gut funktionierende Körperteile sozusagen amputiert werden. Hat der Körper keine Bedeutung mehr?

Ich würde sagen, der Körper ist zum Projekt geworden. Ich denke jetzt auch an Schönheits-OPs usw. Verkauft wird uns das als größere Freiheit, dass wir wählen können. Diese Selbstoptimierung hat aber einen hohen Preis, in Wahrheit lassen wir uns aufdiktieren, wie unser Körper zu sein hat. Und wir haben verlernt zu erkennen, wo eigentlich das Wachsen und Reifen im Menschen geschieht. Nämlich, die Gaben, die er bekommen hat, und damit auch den Leib als Vorgabe, als Aufgabe in sein Leben zu integrieren. Dazu brauche ich aber eine Gemeinschaft, die mir in Phasen der Unsicherheit beistehen kann. Die Pubertät ist so eine heikle Phase, wo Gefühle auftauchen, wo sich der ganze Körper verändert und wo sich die Frage stellt, wer ich eigentlich bin. Da brauche ich eine liebevolle Umgebung, die mir in dieser Phase Stabilität gibt und nicht eine, die mir sagt, du kannst dir eigentlich wie im Supermarkt aussuchen, welchen Körper du haben willst.

Sie sind Ethikerin und in der Ethik stellt man sich die Frage, was gut ist, wie man gut handelt. Wie kann man aber von außen beurteilen, was einem gut tut oder nicht?

Ich komme aus der Medizinethik und dort gibt es ein ganz klares Prinzip, nämlich dem Patienten nicht zu schaden, sondern ihm wohl zu tun. Und das Prinzip der Fürsorge. Nicht jeder vom Patienten geäußerter Wunsch tut ihm gut. Der Arzt muss dann immer unterscheiden zwischen dem, was sich jemand wünscht, und dem, was gut für ihn ist. Bei jeder Operation geht’s letztlich um eine Körperverletzung und da muss die Begründung ganz genau sein. Eine Blinddarmentzündung zum Beispiel. Aber wenn ich sage, Herr Doktor, mir tut das Knie weh, schneiden Sie mir bitte das Bein ab, wird er sagen, schauen wir uns das zuerst an, was man da machen kann. Der Wunsch des Patienten allein ist nicht ausschlaggebend dafür. Der Arzt hat ein Ethos, der Arzt ist ausgebildet. Wenn ein Arzt nur einfach die Wünsche seiner Patienten erfüllt, dann landen wir in einer Kunden-Auftraggeber-Mentalität. Das ist dann mein Kunde und nicht mehr mein Patient. Das ist tatsächlich ein Problem in der heutigen Medizin. Leider lassen sich einige vom Geld diktieren und nicht mehr vom Patientenwohl. Das ist gefährlich.

Wenn ich jetzt als junger Mensch davon betroffen bin, wie geht man damit um?

Ich bin keine Therapeutin und tu mir da schwer, Ratschläge zu geben. Aber was jeder Mensch ganz sicher braucht, ist, dass er weiß, dass er Freunde hat, mit denen er reden kann. Auf der anderen Seite würde ich davor warnen, dass man sich überfordert und solche Probleme selbst oder allein lösen möchte. Besser ist, die betroffene Person darauf aufmerksam zu machen, dass es Menschen gibt, die ihr in dieser schwierigen Phase helfen können, weil sie sich damit auskennen. Also wichtig ist, zu professioneller Hilfe zu ermutigen.

Quelle: YOU!Magazin, Juli/August 2022, S. 46-47
Michi Cech

AUTOR DES TEXTES:

Michi Cech

seit 1998 Chefredakteur von YOU! Magazin, seit 2017 verheiratet und Vater zweier Kinder.

2023-03-28T15:02:56+02:00
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