Bevor ich in das Thema einsteige, was die größte Bedrohung für die Ehe heute ist, möchte ich ein wenig darauf eingehen, was das eigentliche Ziel der Ehe ist. So können wir auch besser verstehen, was sie bedroht.
Was ist also das Ziel?
Wir wissen, dass die Ehe eine Berufung ist … Wozu sind wir berufen? … Die Berufung zur Ehe ist eine Art, Jesus nachfolgen. Er kam, um uns in unserer Menschlichkeit zu treffen und uns so umzuwandeln, dass wir die Einheit mit Ihm erlangen. Und dazu zeigte er uns den Weg, die Landkarte: „Du musst mir nachfolgen. Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir.“ Das ist der ganze Sinn des Lebens, unserer Existenz in dieser Welt. Und die Berufung ist die jeweilige Art, wie man Jesus nachfolgt und wie man das lebt. Also wie ist die Ehe eine Nachfolge Jesu? Jesus lässt uns darüber nicht im Dunkeln, sondern zeigt es ganz klar, indem er seinen Jüngern die Füße wäscht, indem er dient und sich nicht bedienen lässt. Das ist das Motto, das uns nun begleiten wird, um zu verstehen, was die größte Bedrohung für die Ehe ist.
Das gilt übrigens für alle Stadien des Lebens, egal ob man single, verliebt, verlobt oder verheiratet ist, mit oder ohne Kinder lebt… Immer geht es darum, in der Nachfolge Jesu seine Berufung zu leben.
Die größte Bedrohung ist also: die Selbstsucht.
Wenn Jesus sagt, dass er gekommen ist, um zu dienen und nicht, sich bedienen zu lassen, und wenn wir Jesus nachfolgen sollen, heißt das, dass wir das leben sollen – egal in welchem Lebensabschnitt wir uns befinden.
Wie können wir das als Single leben?
Diese Zeit ist eine schöne Gelegenheit tiefer zu gehen und herauszufinden, wer wir sind und wozu wir geschaffen sind. Singles haben keine Ahnung, auch ich hatte als Single keine Ahnung, was es bedeutet, in die Tiefe zu gehen und zu erforschen, worum es im Leben eigentlich geht und was deine Berufung ist. Die Single-Zeit ist wirklich eine Zeit, in der wir besonders gerufen sind, mit Gott eine ganz enge Freundschaft aufzubauen. Manche gehen dann einen Schritt weiter und weihen sich Gott im geistlichen Leben (Priester, Orden,…), da gibt es unzählige Möglichkeiten. Aber vor diesem Schritt – in der Singlezeit – haben wir ein kleines Zeitfenster und vieles kann man von denen lernen, die diese Zeit des Wartens zu einer Lebensberufung gemacht haben.
Wie kann man also diese größte Bedrohung – die Selbstsucht – als Single bekämpfen? Wir erkennen, dass wir gewisse Bedürfnisse, Sehnsüchte haben. Wir sehnen uns nach Gemeinschaft. Und in dieser Sehnsucht sollen wir erkennen, dass wir uns zutiefst nach unserer letzten Bestimmung sehnen (die Vereinigung mit Gott). Es gilt also, tiefer zu gehen als unsere oberflächlichen Gefühle. Wenn wir uns als Single nach jemandem sehnen, meinen wir, dass unsere Sehnsucht erst in einer Beziehung gestillt sein wird. („Ich muss eine fixe Freundin finden, ich muss mich auf die Ehe vorbereiten…“). Wir sollten stattdessen eine Pause einlegen, tief durchatmen und diese Sehnsucht einziehen lassen und sie hier verweilen lassen. Zu oft fühlen wir uns unbehaglich wegen unserer Sehnsüchte, die verlangen, dass sie gestillt werden. Den Drang einmal auszusitzen und ihn vorerst unbefriedigt lassen, ist wirklich nicht bequem. Wir leben in einer Sofort-befriedigenden-Kultur, wo wir so schnell wie möglich die Befriedigung unserer Bedürfnisse erfahren wollen. Aber wir sollten in uns kehren, die Stille aushalten und uns erlauben, dass die Bedürfnisse nicht sofort befriedigt werden. Und dabei überwinden wir die oberflächliche Antwort, die besagt, dass man sofort in eine Beziehung gehen soll. Es ist nicht falsch, eine Beziehung zu suchen, aber was ich sagen will, ist, dass man herausfinden muss, dass es mehr gibt, als nur das. Wenn wir also bei diesem Unbefriedigt-Sein verweilen, können wir auf uns wirken lassen, was Johannes Paul II. mit seiner Theologie des Leibes gemeint hat – dass wir eigentlich Sehnsucht nach Gott haben. Und so können uns unsere Sehnsüchte zum Göttlichen hinweisen. Und wenn wir das lang genug aussitzen, erfahren wir, dass das eigentlich unsere tiefste Sehnsucht ist. Darum sollten wir in der Singlezeit diese Stille wirklich fördern.
Und wenn du nicht mehr single bist…
…dann nütz die Zeit, dich auch jetzt in die Stille zurückzuziehen – so oft es dir möglich ist. – Ich ermutige immer alle dazu – Verlobte, Verheiratete, Paare mit Kindern. Was immer deine Situation ist, nimm dir eine Auszeit, eine Rückzugszeit in die Stille. Als Verheiratete/r bist du hoffentlich geistlich auf derselben Wellenlänge wie dein Ehepartner, sodass er/sie es versteht. Macht euch Zeiten aus – täglich, wöchentlich, monatlich oder jährlich, wo ihr euch eine Zeit der Einkehr nehmen könnt und wo dann der andere bereit ist, mehr Verantwortung zuhause zu übernehmen. In dieser Auszeit, einer Zeit der Einsamkeit und Isolierung nützt man die Gelegenheit, diese Wahrheit wieder ins Gedächtnis zu rufen. In der Singlezeit hat man das ohnehin ständig – diese Einsamkeit, aber die will gut genützt werden, um diese Reichtümer zu verinnerlichen.
Wenn du in einer fixen Freundschaft lebst…
…dann geht es wieder darum, jenseits der oberflächlichen Gefühle zu gehen. Gerade zu Beginn, wo alles sehr aufregend ist und man sich bewusst wird, wie man sich fühlt, wenn er/sie mit einem ist. Und auch da ist es wichtig, seine Sehnsüchte wahrzunehmen und sie anzuschauen, sie tiefer gehen zu lassen. Auch hier geht es um den Ruf zu dienen und nicht sich bedienen zu lassen. Die Zeit des Dating ist eine Zeit herauszufinden, ob diese Person jemand ist, die irgendwann in der Zukunft der Empfänger meiner Selbsthingabe werden soll? Im Lauf der Zeit lernt man den anderen besser kennen, lernt sich besser kennen, es gilt, viel herauszufinden… Zu Beginn denkt man sicher nicht so sehr daran, da man eher wahrnimmt, was mir der andere gibt und wie ich mich dabei fühle. Und wenn die sexuelle Sehnsucht dazukommt, werden die Gefühle und die Sehnsucht nach Gemeinschaft noch stärker. Darum müssen wir auch hier auf den Pausenknopf drücken und uns Zeit lassen, die oberflächliche Antwort auf unsere Gefühle hinter uns lassen und in die neue Dimension des Dienens eintauchen.
Bei Verlobten…
…kommt man dann zu einer weiteren Phase der Unterscheidung. Man sieht klarer, ob dieser Mensch der Empfänger meiner Selbsthingabe werden soll. Und man lernt, diese Person noch besser zu verstehen. Ich sage immer den verlobten Paaren, sie sollen herausfinden, welche Träume der andere hat. Normalerweise geht es einem immer um die eigenen Träume: Wie ist mein perfekter Hochzeitstag? Was ist das perfekte Hochzeitskleid, wie die perfekte Hochzeitsreise? Stattdessen frag: Was sind deine Träume? Was bringst du mit – auch: welche Problemthemen aus deiner Ursprungsfamilie bringst du mit? Welche Bedürfnisse hast du, die bei dir gestillt werden sollen? Dann weiter: Wie viele Kinder möchtest du einmal haben? Welche Art Haus möchtest du einmal haben? Und ähnliche Themen. Diese Verlobungszeit ist wirklich eine Zeit, die man füreinander verbringt und wo man nicht so sehr an sich selbst, sondern viel mehr an den anderen denkt. Der anfängliche Hype, das Knistern….das alles ist sehr gut. Ich sage nicht, dass das falsch ist. Es ist sehr gut, aber wir müssen darüber hinausgehen und erkennen, dass es mehr gibt, dass wir der Berufung der Hingabe und des Dienens immer näherkommen.
Und dann kommt der große Tag…
…wo ihr vor Gott und den Menschen und vor deinem Ehepartner bezeugt: Ich will mich zum Geschenk für dich machen. Totale Ganzhingabe, bis der Tod uns scheidet. Nun ist die Zeit gekommen, diese Worte in die Tat umzusetzen: „Ich bin nicht gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ Und das wird sich in den kleinen alltäglichen Details, im täglichen Leben zeigen und ausdrücken. Du bist jetzt nicht da, dass man dir in deinen Träumen dient.
Ich sage nicht, dass man nicht seine eigenen Träume haben kann, man soll sie sogar haben und um sie wissen. Du brauchst deine eigenen Sehnsüchte und Erfahrungen – warum? Das ist das Paradoxe an der Ehe. Denn um das Ziel zu erreichen, dass die beiden Eheleute einander dienen, muss es beides geben: Dienen und bedient werden. Papst Franziskus spricht in seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ sehr schön darüber (K. 4 + 5), wie die Ehe ein „andauernder Weg des Wachstums“ (vgl. Amoris Laetitia, 134) ist, eine immerwährende Baustelle. Einerseits muss unsere erste Intention sein, dem anderen zu dienen, aber während wir dienen, müssen wir erkennen, dass die eigentliche Sehnsucht des anderen sein muss, mir zu dienen. Wenn ich meine Frau wirklich liebe und wirklich will, dass meine Frau in den Himmel gelangt, dann weiß ich, dass ihr Weg in den Himmel heißt, dass sie sich zum Geschenk für mich macht. Und das heißt, wenn ich ihr helfen möchte, in den Himmel zu gelangen, muss ich sie mir dienen lassen und muss ihr Geschenk (ihrer selbst) annehmen. Gleichzeitig ist das Geschenk meiner selbst an sie mein Weg in den Himmel. Das ist die Dynamik ständigen Gebens und Nehmens. Das drückt Papst Franziskus so gut aus, indem er es einen „andauernden Weg des Wachstums“ nennt. Wir werden vorankommen, wir werden Fehler machen. Selbstsucht wird sich ganz sicher einschleichen. Deswegen ist Liebe langmütig“ und „gütig“ (1 Kor 13,4), die Liebe vergibt, die Liebe erträgt … Deswegen ist 1 Korinther 13 so kraftvoll, weil wir eine Baustelle sind.
Wenn wir also die Selbstsucht in unserem Leben entdecken, werden wir merken, dass wir diese Sehnsucht zu sehr auf Kosten des Partners decken wollten – sei es groß oder klein. – Das kann die Art und Weise betreffen, wie ihr den Haushalt führt, wie ihr euren Urlaub plant, die Art und Weise, wie ihr Zeit mit den Verwandten verbringt, all diese Dinge, die euer Leben betreffen, wo ihr wohnt, wie ihr eure Freizeit verbringt, Arbeitsteilung….das sind die vielen Dinge des Alltags, die unsere Dienstbereitschaft betreffen.
Die große Herausforderung
Und das alles bereitet uns auf die letzte Bestimmung vor – nicht geistlich oder emotional – sondern psychologisch – und das ist etwas, was ich selbst als Elternteil erfahren habe. Die totale Selbsthingabe ist die Ehe und das muss die Grundlage sein. Aber psychologisch bereitet es dich auf diese große Herausforderung vor, wenn du einmal Kinder hast (oder dich sonst in der Gemeinde einsetzt) – dabei geht es immer und verstärkt um den Dienst und nicht um sich Bedienen-Lassen. In der Ehe ist es ein Geben und Nehmen. Aber Kinder haben nicht dieselbe Art Dynamik. Bei Kindern gibst du, und du bekommst nicht automatisch etwas zurück. Alle Eltern können das nur zu gut bezeugen. All die durchwachten Nächte, all die durchkreuzten Pläne während des Tages, all die Dinge, an die du nie gedacht hast – all das nährt sich aus der Dienstbereitschaft deinem Ehepartner gegenüber, da du dort gelernt hast zu dienen.
Also schon von der Single-Zeit angefangen bis zur Zeit des Dating, der Verlobung, der Hochzeit und der Ehe, bis hin zu der Zeit mit Kindern wachsen wir ständig auf dem Weg zur Heiligkeit und da zeigen sich dann die Früchte der Liebe. Somit ist die eigentliche Bedrohung der Ehe letztlich die eigentliche Bedrohung unseres Seelenheils, und das ist die Selbstsucht. Und diese Selbstsucht können wir überwinden, indem wir Jesus nachfolgen und lernen, über unsere anfänglichen Sehnsüchte hinauszuwachsen, sodass wir reiche Früchte wachsen lassen können, was uns letztlich zu Gott selbst hinführt.
Text: Dr. Gregory Bottaro
Dieser Vortrag wurde bei der Love Life Conference 2021 von Chastity.com online gehalten.
Deutsche Übersetzung von Bergblume.
Dr. Greg ist katholischer Psychologe mit Praxis in Connecticut, NY, USA. Er bietet auch weltweit Online Therapie an und ist Leiter des CatholicPsych Institute (www.catholicpsych.com).
„Das erste Buch, das ich von Papst Johannes Paul II. las, war ‚Liebe und Verantwortung‘, und es war für mich wie ein Handbuch zur Psychologie. Ich dachte, es müsse doch eine Psychologie geben, die auf dieser Lehre beruht, aber es gab nichts. Und so starteten wir…es ist eine riesige Herausforderung – die jahrhundertealte Lehre der Kirche im Zusammenhang mit dem menschlichen Verhalten zu sehen.“
– Dr. Greg Bottaro