In seiner „Theologie des Leibes“ analysiert Papst Johannes Paul II, wie sich das Gott mit Liebe und Sex das gedacht hat. Und zwar anhand der Bibel, der hl. Schrift. Hier eine erste kleine Einführung in seine Gedanken.
In der Bibel finden wir die Geschichte vom Anfang des Menschen. Diese wird erzählt in einer symbolischen Sprache, das bedeutet, dass sie etwas Bestimmtes ausdrücken will. Es geht nicht zuerst darum, ob die ersten Menschen wirklich Adam und Eva geheißen haben („Adam“ bedeutet im Hebräischen übrigens „Mensch“), sondern um den Sinn für unser Dasein auf der Welt. Und wie wir wissen, hat diese Geschichte etwas mit Mann und Frau zu tun.
Als Jesus einmal von seinen Jüngern gefragt wurde, ob man sich scheiden lassen darf, da gab er zur Antwort: „Am Anfang war das nicht so…“ Und mit diesem Anfang meinte er die Welt so, wie Gott sie geschaffen hat. Am Anfang war dieses ganze Mann-Frau-Ding noch nicht so kompliziert. Die Konflikte und der Herzschmerz waren nicht so von Gott gedacht.
Jesus schlägt also vor, sich zu überlegen, wie das am Anfang war, bevor die Sünde in unser Herz kam. Johannes Paul II sagt, dass es besonders drei Grunderfahrungen sind, die der erste Mensch in der Bibel und auch jeder von uns seit diesem Anfang macht: Einsamkeit, Einheit und Nacktheit. Und er hat darüber nachgedacht, was diese Erfahrungen für uns und das Verständnis von Sex bedeuten können.
1. EINSAMKEIT
Einsamkeit & Identität
Wir alle kennen das Gefühl von Einsamkeit. Diese Erfahrung machen wir alle, und es ist auch die Erfahrung, die Adam, sozusagen der erste Mensch, in der Bibel macht. Er war nicht nur „allein“ ohne Frau, sondern er entdeckte ganz grundsätzlich, dass die Tiere, die er sah, einfach anders waren als er. Als Mensch war er ganz anders und daher allein. Nur er hatte ein Bewusstsein von sich selbst und das Bewusstsein, dass er allein war. Das Gefühl der Einsamkeit ist also etwas ganz Normales und kann uns ganz viel über uns selbst sagen. In der Einsamkeit begegnen wir unserem Ich. Ich bin mit mir allein. Nur ich bin ich. Das ist sozusagen das Erkennen unserer Identität. Wenn wir die Erfahrung von Einsamkeit machen, dann, weil wir ein Innenleben haben und ein Bewusstsein von uns selbst. Das macht uns so anders im Vergleich zu den Tieren. Auch wenn wir manchmal meinen, dass Tiere uns verstehen, so können wir nicht wirklich von einem Innenleben eines Eichhörnchens oder eines Hühnchens sprechen. Das bedeutet es nämlich, wenn wir jemanden als „Person“ bezeichnen. Wir sind nicht nur ein lebendiger Körper, wir sind eine Person. Jeder Mensch ist eine Person, weil er einzigartig ist und ein Innenleben hat, das heißt, weil er ein Jemand ist. Darum ist es nicht egal, was wir mit unserem Körper machen, weil das unser ganzes Ich betrifft.
Einsamkeit & Freiheit
Eine andere Erfahrung, die wir nur in der Einsamkeit machen, ist die Fähigkeit der freien Entscheidung. Entscheiden muss jeder für sich und mit dieser Freiheit ist man letztlich immer allein. In der Bibel heißt es, dass Adam von Gott das Gebot bekommen hatte, vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ nicht zu essen. Ein Gebot kann man nur jemandem geben, der die Möglichkeit hat, auch anders zu handeln. Die Schwerkraft zum Bespiel ist kein Gebot, sondern ein Naturgesetz, dem wir uns gar nicht widersetzen können. Der Mensch erkennt aber, dass er frei ist. Es gibt ein Gebot, das er auch brechen kann. Freiheit ist verbunden mit Verantwortung. Im Gegensatz zu den Tieren ist der Mensch verantwortlich für das, was er tut, weil er frei ist. Wir sind frei, was wir mit unserem Körper machen oder nicht. Aber wir sind nicht frei, was die Folgen betrifft. Wir sind nämlich nicht frei, selbst zu bestimmen, was gut oder schlecht ist. Das ist schließlich mit diesem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ gemeint. Was gut und böse ist, das ist von jemand anders gegeben. Die Erfahrung der Einsamkeit und der Freiheit zeigt uns also, dass es jemand anders gibt, der dieses Gesetz von Gut und Böse in unser Herz gelegt hat. Und dieser Jemand muss Gott sein, dem wir unsere Existenz verdanken.
Einsamkeit & Beziehung
Nachdem Gott den Menschen gemacht hat, sagt er: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ In bildlicher Sprache wird hier ausgedrückt, dass wir Menschen allein nicht glücklich werden können. Wir brauchen jemand anderen, den wir auf Augenhöhe lieben können. Und als Adam seine Frau Eva sieht, sagt er: „Das endlich ist Fleisch von meinem Fleisch!“, also das endlich ist jemand, eine Person wie ich, die ich lieben kann. Das ist vielleicht die stärkste Erfahrung, die wir in der Einsamkeit machen: dass wir jemanden brauchen, der uns liebt und den wir lieben können. In der Bibel finden wir hier unsere eigene Erfahrung bestätigt: Es gibt eine Sehnsucht von einem Mann nach einer Frau und umgekehrt. Wir brauchen die Ergänzung durch jemand anderen, damit wir vollkommen sind.
2. EINHEIT
Einheit & Seele
Wir haben Sehnsucht nach jemandem, den wir lieben können und der uns liebt. In der Geschichte über den ursprünglichen Plan Gottes lesen wir in der Bibel: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch.“ Mann findet Frau. Diese Erfahrung der Einheit überwindet schließlich die Einsamkeit. Und dieses „Ein-Fleisch-Werden“ ist daher mehr als nur eine biologische Sache. Die Erfahrung der Einsamkeit hat uns ja schon gezeigt, dass die Sehnsucht nach Vereinigung genauso innerlich ist, nicht nur körperlich. Es gibt einfach einen riesengroßen Unterschied zwischen der sexuellen Vereinigung zweier Menschen, die sich lieben, und der Paarung bei Tieren. Sex ist beim Menschen vor allem eine geistige Wirklichkeit, weil der Mensch mit seiner Seele ein geistiges Wesen ist. Die Sehnsucht nach Einheit ist in erster Linie etwas Inneres. Ist es nicht interessant, dass die Geschlechtsorgane beim Menschen als fast einziges Lebewesen so angeordnet sind, dass sich Mann und Frau bei der sexuellen Vereinigung in die Augen schauen?
Einheit & Zweiheit
Eine echte Einheit, die die Einsamkeit überwindet, kann gerade dort passieren, wo der andere anders ist. Erst hier kann man sich ergänzen. Mann und Frau sind gleich, weil sie beide Menschen und Personen sind, aber sie sind körperlich und seelisch extra so verschieden, damit sie sich ergänzen können. Darum können Mann und Frau wirklich „ein Fleisch werden“, wie es in der Bibel heißt. Einheit ist möglich, weil der Mensch als Mann und Frau existiert, wie der Schlüssel und das Schloss, Handy und Ladekabel, wie das fehlende Puzzle-Stück.
Einheit & Abbild Gottes
Johannes Paul II sagt, dass der Grund, warum Sex etwas mit Gott zu tun hat, vor allem darin liegt, dass wir Menschen als „Abbild Gottes“ geschaffen sind. Wir wissen, dass Gott dreifaltig ist, Gemeinschaft, die Einheit von drei Personen. Und ist Sex nicht auch so etwas wie ein „dreifaltiges“ Geschehen? Zwei Personen verbinden sich in Liebe so weit, dass daraus sogar eine dritte Person entsteht, zumindest entstehen kann. Gerade in der Einheit von Mann und Frau sind wir, wie nirgendwo sonst, ein Abbild Gottes, so der Papst. Und darum hat die Liebe zwischen Mann und Frau und die Sexualität auch so einen besonderen Wert. Dieser Gedanke, meint Johannes Paul II sogar, ist vielleicht sogar überhaupt der „tiefste theologische Aspekt“, der sich über den Menschen sagen lässt.
3. NACKTHEIT
Anscheinend war das ursprünglich von Gott her nicht so gedacht, dass Nacktheit irgendetwas „Unheiliges“ sein soll, wie wir das heute aber zum Teil erleben. Das Gefühl, sich zu schämen, kam erst, nachdem Adam und Eva in die Sünde gefallen waren. Vorher war das nicht so. Und der Papst sagt, dass diese Bibelstelle DIE Schlüsselstelle ist. „Adam und seine Frau waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander (Gen 2,25).“ Also, wenn wir das verstehen, dann verstehen wir den Plan, den Gott mit dem menschlichen Leben hatte. So sagt es zumindest Johannes Paul II. Der Sinn unseres Lebens hat irgendwie etwas mit dieser Erfahrung der ursprünglichen „Nacktheit ohne Scham“ zu tun. Versuchen wir das in 5 Schritten zu verstehen…
Schritt 1: Scham empfinden wir als Schutzmechanismus
Wenn du unter der Dusche stehst, schämst du dich normalerweise nicht. Wenn aber aus Versehen eine fremde Person ins Badezimmer hereinplatzt, ist die natürliche Reaktion, dass man sich schnell bedecken will. Das machen wir nicht, weil unser Körper oder unsere Geschlechtlichkeit etwas Schlechtes wären, sondern weil wir instinktiv spüren, dass unser Leib nie wie ein Objekt für sexuelle Zwecke angeschaut werden darf. Irgendwie spüren wir, dass es Blicke gibt, die uns wie ein Ding behandeln bzw. missbrauchen. Im Tiefsten wissen wir, dass wir kein „Objekt der Begierde“ sein wollen.
Schritt 2: Es gibt zwei Aspekte der Scham
Zum einen ist Scham eine positive Reaktion. Wir wollen unsere Würde schützen, das heißt, wir wollen nicht wie ein „Ding“ behandelt und angeschaut werden. Der zweite Aspekt ist sozusagen die negative Seite. Scham zeigt nämlich, dass es bei uns Menschen die Neigung gibt, den nackten Körper als eine Sache zur eigenen Befriedigung zu sehen. Aber ein anderer Mensch ist niemals nur eine Sache für den eigenen Zweck. Irgendetwas scheint da durcheinandergeraten zu sein. Die Bibel erklärt das mit dem Sündenfall. Da ist die Begierde, das egoistische Verlangen, in unser Herz gekommen.
Schritt 3: Vor dem Sündenfall gab es keine egoistische Begierde
Dass nun Adam und Eva „nackt ohne Scham“ waren, bedeutet, dass es vor dem Sündenfall, vor dem Nein zu Gott, keinen Blick der Begierde gab. Es gab keinen Egoismus. Der andere in seiner Nacktheit wurde nicht als Ding zur eigenen Befriedigung gesehen. Das hat sich mit der Sünde verändert. In allen großen Kulturen dieser Erde hat sich daher jeweils eine Kleidung entwickelt, die helfen sollte, den inneren Kern der Person und ihre wahre Schönheit zum Ausdruck zu bringen. Aber manchmal kann Kleidung auch das Gegenteil bewirken. Wie heute in der westlichen Welt manchmal absichtlich die Begierde geweckt werden will, versucht man etwa in der muslimischen Welt, ganz strikt alles zu verdecken, was zur Versuchung werden könnte. Im Grunde ist beides eine Folge des begehrlichen Blicks in unserer Welt der Erbsünde.
Schritt 4: Im Frieden des inneren Blicks
Wie kann man sich aber den Blick vorstellen, den Adam auf seine Frau gehabt hat, bevor die Sünde in die Welt gekommen ist? Denk zum Beispiel an einen wunderschönen Sonnenuntergang an einem Strand am Meer. Es ist ein Gefühl, das das Herz erhebt, das einen einfach Gott für die Schönheit der Schöpfung preisen lässt! Man sagt einfach: Wow, ist das schön! Ohne es besitzen zu wollen. Aber fragen wir uns: Ist das der Blick, den wir heute haben, wenn wir bei einem Unterwäscheplakat vorbeifahren? Die gute Nachricht des Evangeliums ist aber, dass Gott unser Herz verändern möchte und uns diesen Blick wiederschenken kann. „Ich gebe euch ein neues Herz!“, sagt Gott uns in der Bibel. Auf der Erde wird das zwar immer mit einem Bemühen verbunden bleiben und nicht endgültig sein, aber durch Jesus dürfen wir im anderen wirklich immer mehr diesen „Sonnenuntergang“ sehen. Johannes Paul II. nennt das den „Frieden des inneren Blicks“.
Schritt 5: Die bräutliche Bedeutung des Leibes
In unserer Welt heute erleben wir oft den Missbrauch der Begierde, und so verbinden wir mit Nacktheit eher alles, was nicht heilig ist. Am Anfang war das nicht so, sagt Johannes Paul II. Gerade in ihrer Nacktheit erkannten Adam und Eva, dass sie als Abbild Gottes geschaffen sind und dazu berufen sind, zu lieben so wie Gott liebt, nämlich sich ganz dem anderen hinzugeben. Jesus sagt: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Und wie hat Jesus uns geliebt? „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird!“ (Lk 22,19). Jesus ist für uns gestorben. Das war seine Liebe für uns. Da ist kein Platz für Egoismus. Und das „sahen“ Adam und Eva in der „Nacktheit ohne Scham“. Und das ist in unserem Leib sozusagen noch immer eingeschrieben. Der Papst nennt das die „bräutliche Bedeutung“ des Leibes: „Die bräutliche (wir könnten auch sagen eheliche) Liebe ist daher die Fähigkeit zur Liebe, in welcher der Mensch zum Geschenk wird und gerade durch dieses Geschenk erfüllt sich der Sinn unserer Existenz.“ Johannes Paul II. kommt also zu dem Schluss: Wenn wir unseren Leib als Mann und Frau in der ursprünglichen Weise, d.h. ohne Begierde, betrachten, entdecken wir, dass wir dazu geschaffen sind, um gegenseitig zum echten und uneigennützigen Geschenk füreinander zu werden. Und das ist letztlich der Sinn unseres ganzen Lebens!