LET’S TALK Homosexualität

Chefredakteur Michi Cech im Gespräch mit Markus Hoffmann. Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder, Psychologe, Theologe und Sexualberater und einer unserer Autoren auf Liebesfragen.online. Herr Hoffmann arbeitet als selbst Betroffener viel auch mit Menschen mit homosexuellen Empfindungen. Sein aktuell erschienenes Buch „Weil ich es will“ beinhaltet 39 echte Geschichten von echten Menschen, die über ihre homosexuelle Neigung berichten. Wir haben mit ihm über sein Buch, über Sexualität, Identität und den christlichen Glauben gesprochen.

Michi: Vor kurzem ist dein Buch erschienen mit fast 40 Lebensgeschichten von Menschen, die sich als homosexuell bezeichnen oder bezeichnet haben, die total ehrlich sind, auch auf den Bezug zum Glauben. Wie ist es dazu gekommen?

Markus Hoffmann: Es gibt ja heute auch in der Kirche eine große Diskussion über das Thema. Und wir als Gruppe, die wir Homosexualität so ganz anders erleben, kommen in der Diskussion nicht vor, Menschen, die mit ihrer Empfindung kämpfen. Wenn man internationale Untersuchungen ansieht, dann sind es 1,5 bis 2,5 Prozent der Menschen, die rein homosexuell empfinden. Aber mehr als doppelt so viele stehen irgendwo dazwischen. Viele sagen, wenn man zu seiner Neigung steht, dann sind alle Probleme gelöst. Aber in Wirklichkeit geht es um ganz andere Probleme, die nicht thematisiert werden.

Michi: Du hast auch deine eigene Geschichte in dem Buch erzählt. Welchen Einfluss hat deine Beziehung zu Gott auf deinen Weg gehabt?

Markus Hoffmann: Zuerst mal gar keine. Viele Christen zweifeln an ihren homosexuellen Gefühlen aufgrund biblischer Gebote. Das war bei mir nicht so. Gezweifelt habe ich bereits als Junge im Kindergarten. Wenn ich mich damals von Jungs angezogen gefühlt hab, dann deshalb, weil ich dieses Jungs bewundert habe. Sie waren angstfrei, konnten gut mit anderen Jungs und sie hatten ein tolles Aussehen. Ich fand diese Art der Bewunderung von anderen Jungs immer schon komisch. Das aber hatte nichts mit dem Glauben zu tun. Ich bin erst mit 15 oder 16 bewusst zum Glauben gekommen. In meinem christlichen Umfeld konnte ich aber null über meine sexuellen Gefühle reden. Man hat gar nichts über Sexuelles geredet. Später hab ich eine Zeit lang in einer Art evangelischem Kloster mitgelebt. Dort verliebte ich mich unbändig in einen Mann und wusste gleichzeitig, dass das nicht geht. Erst als ich aufgrund meiner sexuellen Orientierung in eine tiefe Selbstablehnung und Depression geriet, bekam der Glaube Bedeutung. Es war ein Erlebnis bei der Eucharistie, bei der mir klar wurde, Jesus, das Lamm Gottes, ist in meiner Verzweiflung da, er verwirft mich nicht. 

Michi: Du hast im Buch auch erwähnt, dass du zuerst eher ein falsches Bild vom Glauben hattest. Möchtest du etwas darüber sagen?

Markus Hoffmann: Das stimmt. Am Anfang hatte ich einen sehr magischen Glauben. Als ich als Teenager zum Glauben gekommen bin, hat mir jemand die Hände aufgelegt, und ich fühlte mich danach von allem befreit, was mich bedrückt hatte. Das war eigentlich ein wunderbares Erlebnis. Und ich dachte, meine Homosexualität würde auf die gleiche Weise verschwinden. Ich müsste nur genug beten. Das hat aber natürlich nicht so funktioniert. Geändert hat sich mein magischer Glaube erst, als ich mich mal wieder in einen Mann verliebt hatte, was mich an den Rand des Selbstmords brachte. In dieser Situation hörte ich eine Stimme. Sie fragte: Was suchst du bei dem Mann? Ich stellte fest, ich möchte eigentlich sein Mannsein haben. Damals wurde mir klar, ich muss zu meinem Mannsein finden und aufhören, mir das Mannsein fremder Männer anziehen zu wollen. Das hatte viel mit Gott zu tun. Denn zum ersten Mal verstand ich, dass Gott mich zu meinem Mannsein herausfordert und dass ich dies nicht im magischen Gebet finden kann, sondern nur im Dialog und in einer authentischen Beziehung zu ihm. 

Michi: Was können wir gerade als Christen aus diesem Buch mitnehmen?

Markus Hoffmann: Ich denke mir, ganz auf der ganz persönlichen Ebene kann man sehr viel mitnehmen. Es schreiben da Menschen, deren Leben nicht vollkommen ist. Was diese Menschen zeigen, ist, dass unser Leben brüchig ist. Das ist die Herausforderung, vor der wir alle stehen. Wir stellen uns heute in der Social Media Welt immer so ein schönes, perfektes Hochglanz-Leben vor. So ist das Leben nicht. Das Leben ist brüchig und mit Widersprüchen, und das zeigen diese Menschen. Das Zweite, was wir aus dem Buch mitnehmen können, ist, dass wir uns alle Fragen zu unserer Sexualität stellen müssen. Wir sehen, dass es nicht nur um Triebbefriedigung oder eine „erfüllte“ Sexualität geht, sondern auch um ganz nicht-sexuelle Fragen in meiner Sexualität, um Fragen von Liebe, von Annahme, von Selbstwert, von Mann-Sein, von Frau-Sein, von Respekt, von Autonomie und Selbstständigkeit, von Beziehungen, von Vaterschaft und Mutterschaft. Da könnte dieses Buch tatsächlich ein Stück eine Türe öffnen.

Michi: Inwieweit hängt Sexualität mit unserer Identität zusammen? Mir fällt auf, dass es heute einen richtigen Druck gibt, seine Identität irgendwie am sexuellen Empfinden festzumachen.

Markus Hoffmann: Was in der Sexualwissenschaft momentan tatsächlich kritisch diskutiert wird, ist dieses Labeln von Identität. Schwul, lesbisch, transgender, das sind politische Begriffe und es ist okay, wenn Menschen diese verwenden. Aber damit habe ich noch nicht die psychische Seite abgedeckt. Identität ist die Suche nach innerer Einheit. Ich selbst konnte diese innere Einheit lange nicht finden, denn ich hasste mich selbst. Ich stand daher vor der Frage: Wie finde ich zu meiner inneren Einheit. Ein äußeres Label, ich bin schwul und das ist gut so, konnte diese Frage nicht lösen. Ich musste entdecken, dass ich meine innere Einheit sozusagen über die Sexualität herstellen wollte. Erst als ich verstand, dass ich mir im sexuellen Zusammensein mit Männern eine Berührung holte, die ich in realen Männerbeziehungen nicht spüren konnte, begriff ich, dass ich die Realität von Beziehung brauche, um meine Identität zu finden. Dazu musste ich einen Weg der Vergebung und Versöhnung mit Männern gehen. Gleichzeitig musste ich lernen, mich in solchen Beziehungen authentisch und ehrlich zu zeigen, mit meinen Grenzen und mit meinen Gaben. Ich musste vertrauen lernen, dass der Mann, der meine Schwächen sieht, auch der Mann ist, der an meine Stärken glaubt. Letztlich hat das viel mit Identität zu tun. Der Mensch, der seine Schwächen und Stärken in seine Beziehungen einbringen kann, der ist identisch mit sich und schafft so die Chance, sich als der eine Mensch auch in den Augen eines anderen zu sehen. – Solche identitätsstiftenden Beziehungen lernen Kinder normalerweise bei ihren Eltern. Ich musste das als Erwachsener lernen, durfte dabei aber auch gleichzeitig lernen, dass in der Beziehung zu Gott, eine solche identitätsstiftende Beziehung möglich ist. 

Das Buch „Weil ich es will“ ist im YOU!Bookstore erhältlich.

Michi Cech

AUTOR DES TEXTES:

Michi Cech

seit 1998 Chefredakteur von YOU! Magazin, seit 2017 verheiratet und Vater zweier Kinder.

2023-11-17T12:07:49+01:00
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