Keine Lust mehr auf Sex

Frage: Ich habe keine Lust mehr auf Sex. Es war immer ein sehr belastendes Thema, da mein Partner von Beginn an nur ca. alle 3 Wochen Sex wollte und mich abgewimmelt hatte. Jetzt will er und ich nicht mehr. Finde ihn sexuell unattraktiv.

– Eine 56-Jährige

Antwort:

Die gemeinsame Sexualität in der Ehe ist ein Teil der emotionalen Beziehung. Sexualität beinhaltet ja nicht nur den Aspekt von Fruchtbarkeit oder Lust, sondern in viel umfassenderem Maße den Aspekt von Beziehung. Damit sich zwischen zwei Personen so etwas wie erotische Liebe entwickeln kann, braucht es die Entwicklung von Sicherheit, sich einer Person auf der Ebene von Nacktheit und spielerischer Lust anvertrauen zu können. Dieses tiefe Vertrauen zur emotionalen und körperlichen Selbstöffnung kann in einer Beziehung auch zerstört werden. Etwa dann, wenn die Art der Sexualität, die sich der eine und andere Partner wünscht, nicht verstanden wird.

Soll die eheliche Sexualität gelingen, dann müssen sich die beiden Partner zunächst je selbst fragen, was wünsche ich mir, dass sich in der intimen Gemeinschaft mit meinem Partner für mich erfüllt? Wichtig ist anzuerkennen, dass diese Wünsche individuell sind und mit der Persönlichkeit zusammenhängen. So braucht der eine Partner eher tiefes emotionales Vertrauen, bevor er sich auf Sexualität einlassen kann, während der andere dies vielleicht weniger braucht und daher Hals über Kopf zum Spiel der Erotik mit dem anderen bereit ist. Andere brauchen einen stressfreien Alltag, schaffen es daher weniger gut, sich in einer termingetriebenen Zeit auf die gemeinsame Sexualität einzulassen. Dann gibt es aber auch Lebensabschnitte, etwa die Geburt eines Kindes, das Ringen mit der eigenen Identität als Frau oder als Mann, in denen die Art, wie man Sexualität verwirklichen will, wechselt. – Schließlich, und das sollte nicht unerwähnt bleiben, gibt es lebensgeschichtliche Verletzungen, die zwischen den Partnern eine Dynamik entwickeln können und die daher die gemeinsame Sexualität beeinflussen.

Die Sexualität als großer, emotionaler Beziehungsbereich kann daher von verschiedenen Faktoren umgeben sein. Es ist daher ein großer Irrtum, wenn Partner annehmen, dass sich Sexualität im Alltag einfach ergibt oder dass die Freude an Sexualität bei beiden Partnern die gleichen Voraussetzungen hat. Ebenso ist ein häufiger Irrtum, wenn Partner denken, sie müssten die gleiche Form der Sexualität gut finden.

Was hilft dieser Hintergrund einem Partner, der sich vom anderen auf der Ebene der Sexualität durch Zurückweisungen entfremdet hat? Vielleicht dies: Geben Sie Ihrer Beziehung noch einmal eine Chance und bauen Sie Ihre gemeinsame Sexualität noch einmal neu auf. – Wenn Sie frustriert und vom Partner entfremdet sind, dann muss der Weg zunächst allerdings im Nicht-Sexuellen-Bereich Ihrer Beziehung beginnen. Denn bei Licht betrachtet, hatte die erotische Liebe, die Sie miteinander entwickelt haben, auch dort begonnen. So fanden Sie an Ihrem Partner irgendetwas interessant. Was war das? Und findet sich dieses „Etwas“ noch heute bei Ihrem Partner? Dann haben Sie vermutlich bestimmte Interessen und Bedürfnisse miteinander geteilt. Vielleicht sind Sie gern in Konzerte gegangen, vielleicht haben Sie sich gegenseitig vorgelesen, vielleicht haben Sie Landschaften besucht, in denen Sie sich gemeinsam wohl gefühlt haben, vielleicht auch bestimmte Restaurants, gemeinsame Gottesdienste, die Sie innerlich bewegt haben.

Beginnen Sie dies wieder zu tun. D.h. machen Sie sich eine Liste von Dingen, an denen Sie gemeinsam Freude haben! – Und wenn sich daraus dann wieder eine gemeinsame Freude aneinander entwickelt, machen Sie sich Gedanken, über Ihr je unterschiedliches sexuelles Profil. Fragen Sie sich zunächst je einzeln: Welche Form der Nähe könnte ich derzeit mit meinem Partner teilen? Welche Form tut mir gut? Warum tut sie mir gut? Tut sie mir gut, weil ich derzeit eher die Annahme meines Partners spüren muss oder weil ich momentan die Bestätigung meines Partners als Frau oder als Mann in der gemeinsamen Körperlichkeit erleben muss? Etc.

Und schließlich fragen Sie sich, mit welcher Form der Zärtlichkeit und Körperlichkeit möchte ich dies mit meinem Partner erleben? Denken Sie immer daran: Sexualität beginnt nicht beim Koitus, sondern umfasst viele Formen, beginnend beim einfachen Gehaltenwerden durch den Partner.

Setzen Sie sich dann zusammen und stellen Sie sich gegenseitig Ihre ganz individuellen Vorstellungen von Körperlichkeit, Intimität und Sexualität vor. Das Ziel dabei ist nicht, die Vorstellung umzusetzen. Ziel ist vielmehr das gegenseitige Kennenlernen. Diesem Kennenlernen und Verstehen könnte dann eine Zeit folgen, in denen Sie in kleinen Schritten, mal die eine, dann die andere Vorstellung von Intimität und Sexualität gemeinsam umsetzen. Dabei sollten zwei Regeln beachten werden: Verlangen Sie von Ihrem Partner nie, etwas zu tun, was er nicht will oder verletzend empfindet. Und: Fangen Sie behutsam an. Eher wie junge Verliebte, die sich einander annähern, die sich Zeit nehmen über die Sexualität zu reden und vor allem über die eine und andere Berührung und Körperlichkeit und die Botschaft, die dabei bei ihnen ankommt.

Sicher ist das eine große Herausforderung und vielleicht gibt es in Ihrer Beziehung auch manches, dass Sie sich zu verzeihen haben. Wenn Sie aber lernen, über die Bedürfnisse, die mit Ihren sexuellen Wünschen verbunden sind, miteinander zu reden, dann besteht die Chance vielleicht, auch die Ängste, die zu den Zurückweisungen geführt haben, aufzudecken und zu verstehen. Denn Grundlage der Verzeihung und der Beginn neuen Vertrauens ist häufig nur dann möglich, wenn man die Motive des anderen verstehen lernt und damit auch ein Stück der Gefangenschaft, in der sich der andere einstmals befunden hat.

Markus Hoffmann

AUTOR DES TEXTES:

Markus Hoffmann

verheiratet, Vater von 3 Kindern

Studienleiter LBI:

  • Entwicklungssensible Sexualpädagogik ESSP®
  • Entwicklungspsychologe
  • Sexualberater
2023-08-04T18:06:09+02:00
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