Homosexualität – ein anderer Blick

Über Homosexualität zu schreiben, ist nicht leicht, da sich viele Menschen bei diesem Thema von der Kirche verletzt und ausgegrenzt fühlen. Gerade da kann uns aber die Theologie des Leibes von Papst Johannes Paul II helfen, einen anderen, vielleicht neuen Blick darauf zu werfen. Der Papst analysiert, wie sich Gott das mit Sex eigentlich gedacht hat, sodass wir glücklich werden. Es geht dabei übrigens nicht um „uns“ als Kirche und „sie“, die Menschen mit homosexueller Orientierung. Es geht nur um „uns“. Wir alle nämlich, jeder mit seinem Leben und seinen Herausforderungen, wir sind gemeinsam Kirche und versuchen irgendwie, dass das Leben gelingt. 4 Punkte dazu.

#1

Warum sagt die Kirche etwas dazu?

Warum macht sich die Kirche überhaupt so viele Gedanken, wer mit wem wie Sex hat? Einzig, weil Gott möchte, dass wir glücklich werden und dass unser Leben gelingt. Und die Theologie des Leibes sagt uns, dass wir an unserem Leib mit seiner Geschlechtlichkeit erkennen, dass wir für die Liebe gemacht sind. Wir sind dazu gemacht, zu lieben und geliebt zu werden. Unser Leben gelingt dann, wenn wir lernen zu lieben, so wie Gott liebt. Gottes Liebe ist schenkend und fruchtbar. Das ist in unserem Leib quasi eingeschrieben wie in einem offenen Buch. Ganz objektiv gesehen ergänzen sich Mann und Frau in der sexuellen Vereinigung, sogar soweit, dass diese Vereinigung fruchtbar werden kann in einem neuen menschlichen Leben. Der Grundgedanke der kirchlichen Haltung zu Sex ist daher, dass die sexuelle Vereinigung zwei wichtige Bedeutungen hat: das gegenseitige sich Schenken in Liebe, also die Einheit des Paares, und die Fruchtbarkeit. Und wenn eine der beiden Dimensionen von Sex bewusst getrennt wird, schadet es der Liebe. Wir sehen das deutlich bei der ersten Dimension. Wenn die Liebe fehlt, zum Beispiel wenn es nicht freiwillig ist, bringt das viele Verletzungen mit sich. Genauso wird es uns langfristig nicht zu unserem Glück führen, wenn die Fruchtbarkeit nicht respektiert wird. Der Punkt ist, dass wir alle hier zu kämpfen haben. Sei es, auf Sex vor der Ehe zu verzichten, sei es Pornografie oder Selbstbefriedigung, in der Ehe treu zu bleiben oder eben die Anziehung zum selben Geschlecht. Die Frage ist, wie gehen wir mit den verschiedenen Gefühlen und Leidenschaften um, sodass wir zur inneren Freiheit und zu unserem Glück finden?

#2

Biologie versus Gefühl

Sich zum selben Geschlecht hingezogen zu fühlen, ist nicht etwas, was man sich aussucht. Die Anziehung ist da, ob man will oder nicht, und sie stellt eine Frage, die oft schmerzlich ist: Einerseits ist mein Körper offensichtlich auf das andere Geschlecht ausgerichtet, aber gleichzeitig fühle ich mich vom selben Geschlecht angezogen. Wie geht das zusammen? Mein Leib und mein Inneres sagen zwei verschiedene Dinge und ich erlebe sozusagen einen Zwiespalt mitten in mir drinnen. Und ich stelle mir die Frage: Wer bin ich? Was definiert mich? Mein Leib oder meine Gefühle? Was ist mein eigentliches Ich? Soll ich auf meinen biologischen Leib oder auf meine Gefühle hören? Was ist nun die Antwort darauf? Die heutige Gesellschaft sagt, du musst dich über deine Gefühle, deine sexuelle Anziehung definieren. Es wird von der „sexuellen Identität“ gesprochen. Man sagt: Ich „bin“ homosexuell, heterosexuell oder sonst-wie-sexuell. Du bist aber niemals nur deine Sexualität. Die Kirche sagt, dass dein Leib als Mann oder Frau genauso zu dir gehört wie deine Gefühle. Dein Leib ist wertvoll, weil dein Leib du bist. Du bist nicht nur irgendwie „in“ deinem Leib, du „bist“ dein Leib. Du kannst dich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, aber deine Identität ist mehr als deine sexuelle Anziehung. Deine Identität ist, egal welche sexuelle Anziehung du auch verspürst, dass du von Gott geliebt bist und dazu berufen, zu lieben so wie Gott liebt. Du bist Gottes Lieblingsmensch, dazu berufen, zu lieben und geliebt zu werden.

#3

Die Liebe leben

Liebe ist nicht gleich Sex. Sex ist sozusagen der eheliche Ausdruck der Liebe. Etwas Wunderbares, aber nur ein Ausdruck für die Liebe. Die Liebe ist noch viel mehr und jeder Mensch findet seine Erfüllung nicht in Sex, sondern indem er liebt. Wenn du dich zum selben Geschlecht hingezogen fühlst, bist du deswegen nicht weniger geliebt oder nicht weniger Teil der Kirche. Wie jedem Menschen stellt die Kirche aber auch an dich die Frage: Was willst du tun? Wie willst du damit umgehen? Du kannst entweder sagen, meine Gefühle nehme ich nicht so ernst, und versuchst diese zu unterdrücken oder zu verstecken, was meist nicht so gut funktioniert. Oder du kannst sagen, was mein Körper mit seiner Geschlechtlichkeit sagt, hat keine Bedeutung, und du lebst deine Homosexualität aus, so wie die Welt es dir heute vorgibt. Die Kirche möchte dir hingegen eine dritte Möglichkeit vorschlagen, wo du weder gegen deine Gefühle noch gegen deinen biologischen Leib leben musst. Sie schlägt dir vor, beides innerlich anzunehmen, sowohl deine Anziehung zum selben Geschlecht als auch deinen Leib als Mann oder Frau, indem du auf Sex verzichtest. Damit sagst du, dass es dir nicht egal ist, was du mit deinem Körper machst, und bist Zeuge für die Bedeutung der Sexualität, gerade weil du darauf verzichtest. Du bist Zeuge, dass du trotzdem zur Liebe gerufen bist und die Liebe real leben kannst. Damit bist du übrigens nicht allein, sondern das betrifft einen großen Teil der Menschheit, eben alle, die nicht verheiratet sind, Singles, Priester, Ordensleute, Geschiedene, Verwitwete, Kranke oder auch jene, die nie einen Partner gefunden haben.

#4

Der Ruf Gottes an dich

Wir Christen sind der Überzeugung, dass wir dann unsere Erfüllung und unser Glück finden, wenn wir so leben, wie Gott sich das gedacht hat. Das bedeutet es, Jesus „nachzufolgen“. Und das ist sozusagen unser Lebensprinzip, an dem wir unser Leben ausrichten, wie eine Kompassnadel, die immer nach Norden zeigt, egal wo wir uns auch befinden. Dann haben wir die Möglichkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen und den Weg zu wählen, der uns auch zum Ziel führt. Wenn ich diese Kompassnadel aber nicht habe, dann werden andere Dinge zu unserem Lebensprinzip. Für manche ist es Geld und Erfolg, für viele ist es eben Sex. Wir sind heute oft der Meinung, dass Sex zu einem erfüllten Leben gehören „muss“. Dem ordnen wir alles andere unter, denn wir glauben, dass wir nicht zu unserem Glück kommen, wenn wir darauf verzichten. Wir haben Angst, einsam und ohne Liebe zu bleiben. Das ist der Grund, warum man als Christ sofort als diskriminierend oder homophob beschimpft wird, wenn man die Meinung der Kirche vertritt, denn dann würdest du ja sozusagen jemanden an seinem Glück hindern. Die Kirche sieht es jedoch genau umgekehrt. Du fragst, wie dein Leben gelingen kann, wenn du eine Anziehung zum selben Geschlecht verspürst? Gott möchte dir sagen, dass du mehr Glück, mehr Freiheit, mehr inneren Frieden und Erfüllung findest, wenn du Sex nicht gegen seine Bedeutung auslebst, sondern darauf verzichtest. Gott ruft dich, egal welche Sehnsüchte oder Anziehungen du auch in deinem Leben verspürst, ihm alles hinzulegen. Es geht nicht darum, dass Gott dir deine Anziehung zum selben Geschlecht nehmen muss, bevor du „ein guter Christ“ sein kannst, das heißt letztlich, bevor du lieben kannst. Du hast wie jeder andere Mensch eine besondere Berufung, die Liebe von Gott zu empfangen, zu leben und weiterzugeben. Ob du diesem Ruf folgen willst und unter welche Kompassnadel du dein Leben stellst, das musst du für dich entscheiden.

Quelle: YOU!Magazin, Sept./Okt. 2020, S. 38-39 | Text: Michi Cech ist seit 1998 Chefredakteur von YOU! Magazin, seit 2017 verheiratet und Vater zweier Kinder.
2023-03-18T22:14:16+01:00
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