Dieser Beitrag stammt aus dem Buch „Die Liebe, die erfüllt. Reflexionen über Eros und Agape“ und will anhand eines Filmes demonstrieren, wie abenteuerlich, aber auch befreiend Wahrheitssuche sein kann…
Haben Sie den Film Die Truman Show gesehen? Dieser Film ist nicht nur sehenswert; er ist es auch wert, dass man ihn sehr genau studiert. Dieser Film zeigt auf erstaunliche Weise, wie „Adam“ von Natur aus ein Suchender ist, und welche inneren und äußeren Widerstände er – so wie wir alle – auf seiner Suche nach der Wahrheit zu überwinden hat. Die Hauptfigur („True-man“ – wahrer Mensch) lässt auf seiner Suche nach Wahrheit alles hinter sich. Wie Papst Benedikt es ausdrückt, verlässt Truman „Vater und Mutter, um die Frau zu finden“ [1]. In diesem Fall heißt sie Sylvia.
Truman, das erste Kind, das auf legalem Weg von einer Firma adoptiert wurde, wächst in einem riesigen Filmstudio auf, einer künstlichen, in sich geschlossenen Insel namens Seahaven. Die Stadt ist künstlich angelegt, ebenso der Hafen, das Wetter, die Sonne und der Mond – alles unecht. Jeder in dieser künstlichen Welt ist Schauspieler außer Truman (obwohl laut Trumans „bestem Freund“, Marlon, nichts falsch ist; „es gibt nur eine gewisse Kontrolle“). 5.000 Kameras, die in der Stadt versteckt sind, zeichnen jede Bewegung Trumans auf und ermöglichen dem Rest der Welt, die ultimative „Reality Show“ 24 Stunden live im Fernsehen mitzuverfolgen.
Ein Reporter fragt einmal den Produzenten der Show, einen durchtriebenen, machthungrigen Antichrist-Typen namens Christof („Christ-off“ – ohne Christus), warum Truman nie entdeckt hat, dass er in einer künstlichen Welt lebt. Christof erwidert ihm: „Wir akzeptieren die Realität der Welt, die uns dargeboten wird; so einfach ist das.“ Aber die „Realität“, die Truman dargeboten wird, ist nicht immer ganz schlüssig. In einer der Anfangsszenen des Films sieht Truman einen Scheinwerfer vom Himmel fallen und auf die Straße krachen. Verwundert setzt er sich ins Auto und fährt zur Arbeit, doch sogleich ertönt aus dem Radio die Antwort auf seine Frage: „Ja, da kommt eine brandneue Nachricht herein: Vor wenigen Minuten hatte ein Flugzeug einen Defekt über Seahaven und verlor einige Teile.“
Stets werden Trumans Fragen, Hoffnungen, Träume und seine Abenteuerlust im Keim erstickt. Als er als Schuljunge ganz aufgeregt von seinem Wunsch erzählt, Entdecker werden zu wollen,, zückt sein Lehrer eine Landkarte und sagt: „Du kommst zu spät! Es gibt nichts mehr zu entdecken.“ Als Erwachsener zieht es ihn auf die Fidschi-Inseln, doch wann immer sein Abenteuergeist durchbricht, lenkt ihn entweder seine Frau ab, indem sie ihn ins Schlafzimmer lockt, oder es taucht plötzlich Marlon mit einer Kiste Bier auf. Hier sehen wir Situationen, die Peter Kreeft in seinem Buch How to Win the Culture War näher beschreibt. Laut Kreeft besteht Satans Hauptaufgabe nicht nur darin, „das Finden, sondern auch das Suchen zu verhindern… Wer suchet, der findet – früher oder später. Daher hat es weit mehr Effekt, alle Energie aufzuwenden, die Suche zu verhindern“ (HW, S- 69, 72). Christof weiß, dass es daher am besten ist, den Menschen mit Alkohol und Sex zu betäuben.
Doch die Sehnsucht des Menschen nach Wahrheit lässt sich letztlich nicht unterdrücken. Sogar Christof gibt zu: „Wenn [Trumans] Absichten nicht so halbherzig wären, wenn er wirklich im Innersten entschlossen wäre, die Wahrheit herauszufinden, könnten wir das unmöglich verhindern.“ Doch Trumans Suche nach Wahrheit ist freilich mehr als eine halbherzige Absicht. Und was ihn in seiner Suche vorantreibt, ist die Erinnerung an eine Frau, die ihn liebte.
In einer Rückblende sieht man, wie Truman als College-Student Sylvia trifft, eine Schauspielerin (der künstlichen Welt), die – wie jeder andere auch – einem Drehbuch folgt. Zu Christofs Bedauern verliebt sie sich in Truman. Wenn Liebe jedoch echt ist, spricht sie die Wahrheit. Im Wissen, dass Christofs Mannen sie sofort aus der Show ausschließen und damit für immer aus Trumans Leben nehmen werden, versucht sie Truman schnell zu erklären, dass seine Welt nicht echt ist und dass die wirkliche Welt ihm bei allem zusieht. Im selben Augenblick taucht ihr „Vater“ auf, drängt sie in sein Auto zu steigen und sagt Truman, dass er sie nie wieder sehen wird. „Wir ziehen auf die Fidschi-Inseln“, ruft er nur. Sylvia versucht ein letztes Mal, durch das Chaos von Lügen durchzudringen, blickt Truman tief in die Augen und sagt: „Du musst mich suchen!“
Wenn der Eros in richtige Bahnen gelenkt wird, ist er eine Kraft, auf die man zählen kann. Er ist es, der einen Menschen drängt, die Wahrheit zu suchen. Und Christof weiß das. Damit Truman auf der künstlichen Insel bleibt, muss Christof Trumans Sehnsüchte (Eros) zeit seines Lebens im Keim ersticken oder in eine andere Richtung lenken. Christofs größte Waffe ist die Angst. Als Truman ein kleiner Junge war, ließ Christof den Tod seines Vaters darstellen und Truman musste mit ansehen, wie sein Vater bei einem (unechten) Segelunfall ertrank. Seitdem hat Truman panische Angst vor dem Wasser. Als Erwachsener weiß er, dass er die Antwort auf seine Fragen nur finden kann, wenn er geradewegs in seine größte Angst hineinsegelt. Irgendwie weiß er, dass er „die Wahrheit“ am anderen Ende der Bucht entdecken wird. So nimmt er all seinen Mut zusammen und hisst die Segel. Eine kurze Kameraeinstellung auf das Boot verrät uns dessen Namen: „Santa Maria“.
Christof schickt ein Unwetter in der sicheren Annahme, dass Truman aus Angst umkehren wird. Im Kampf ums Überleben wird Truman bewusst, dass ihn eine mysteriöse Macht daran hindern will, weiterzufahren. Er bindet sich am Boot fest, breitet die Arme wie auf einem Kreuz aus und ruft: „Mehr habt ihr nicht zu bieten!? Da müsst ihr mich schon umbringen!“ Die Botschaft ist klar: Wir müssen bereit sein eher zu sterben als unsere Suche aufzugeben; wir müssen die Hand an den Pflug legen und dürfen nicht zurückschauen (vgl. Lk 9,62); nur dann sind wir fähig, die Wahrheit zu finden.
Christof beginnt zu toben, als er Trumans Entschlossenheit sieht. In einem letzten, machthungrigen Versuch, ihn zu stoppen, sendet er eine Powerwelle, um das Boot zum Kentern zu bringen. Truman stirbt symbolisch und erwacht eine Zeit später. Der Sturm legt sich, die Wogen glätten sich. Die Sonne tritt aus den Wolken hervor. Das Boot richtet sich auf. Truman hisst sein zerfetztes Segel und fährt weiter. Bald darauf kracht das Boot gegen die Wand des Studios und Truman starrt der Wahrheit ins Gesicht.
Nun spitzt sich die Situation zu. Truman, der völlig aufgewühlt ist, streckt seine Hand vorsichtig aus und berührt neugierig die Wand. Er sieht nun, dass alles, was hinter ihm liegt, eine Lüge war, dass sein ganzes Leben eine Täuschung gewesen ist. Er schlägt wie wild gegen die Wand und bricht unter Tränen zusammen. Ein paar Augenblicke später entdeckt er eine Tür mit dem Schild „Exit“ (Ausgang – eine Anspielung auf Exodus?) und stößt sie auf. Da hört Truman Christofs Stimme aus dem Lautsprecher hallen:
Truman: Wer Sind Sie?
Christof: Ich bin der Schöpfer … [einer] Fernsehsendung.
Truman: Und wer bin ich?
Christof: Du bist der Star.
Truman: War denn gar nichts echt?
Christof: Du warst echt… Hör mir zu, Truman. Da draußen findest du nicht mehr Wahrheit als in der Welt, die ich für dich geschaffen habe – dieselben Lügen, derselbe Betrug. Aber in meiner Welt hast du nichts zu befürchten. Ich kenne dich besser als du selbst.
Truman: Sie hatten nie eine Kamera in meinem Kopf!
Christof: Du hast Angst; deshalb kannst du nicht weggehen … Ich beobachte dich schon dein ganzes Leben lang… Du kannst nicht weggehen, Truman.
Sylvia (vor dem Fernsehschirm): Bitte, Gott! Du kannst es.
Christof: Du gehörst hier zu mir.
Truman überlegt einen Moment: Alles hinter ihm ist unecht, soviel ist sicher, aber es ist ihm vertraut. Es ist die einzige Welt, die er kennt. Alles, was vor ihm liegt – hinter dieser Tür – ist real, soviel ist sicher, aber es ist ihm völlig unbekannt. Truman zieht ein letztes Mal seinen Kopf ein und schreitet durch die Tür. Sylvia, die hinter den Kulissen gewartet hat, macht einen Luftsprung und läuft ihm entgegen.
„Der Eros ist gleichsam wesensmäßig im Menschen selbst verankert; Adam [der erste Mensch und somit jeder] ist auf der Suche.“[2] Christus versichert uns: „Sucht, dann werdet ihr finden“ (Lk 11,9). Bindet euch am Schiff fest. Blickt euren größten Ängsten ins Auge. Folgt dem Eros in die Tiefe. Und ihr werdet die Wahrheit entdecken, „und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32).
Lies mehr über den „Wahren Eros“ im Kapitel 4 des Buches, „Die Liebe, die erfüllt. Gedanken zu Eros & Agape“ von Christopher West, ab S. 75 (erhältlich siehe unten)