Der Hype um toxische Beziehungen

Warum sind die beliebtesten Lovestorys oft ungesund und anziehend zugleich?

Serien wie „You“ auf Netflix oder Filme wie „Fifty Shades of Grey“ und andere gehören zu den erfolgreichsten Liebesdramen. Und doch handeln sie, wenn man genau hinschaut, von wirklich ungesunden Beziehungen. Warum hypen aber gerade solche toxischen Liebesbeziehungen?

Klar. Spannende Liebesgeschichten faszinieren uns. Wo jemand für die Liebe kämpft, auch wenn die äußeren Umstände alle dagegen sprechen. Wo einer sich hingibt für den anderen und langsam lernt, den anderen wichtiger zu nehmen als sich selbst, das löst eine schöne Faszination in uns aus. Und wir wissen alle, dass echte Liebe nie immer nur leicht ist und wir uns gegenseitig verletzen und uns wieder versöhnen müssen. Aber toxisch wird es dann, wenn schlechtes Verhalten irgendwie positiv oder sogar romantisch dargestellt wird. Solche Filme über toxische Liebesbeziehungen tragen dazu bei, so ein falsches Verhalten mehr oder weniger als normal anzusehen.

Bad Boy und Good Girl

Oft laufen die Beziehungen in solchen Liebesfilmen nach dem gleichen Schema ab. Es gibt einen wilden Bad Boy, der Probleme hat. Dazu kommt ein liebes, unerfahrenes Good Girl, in das sich der Bad Boy verliebt. Sie verliebt sich auch in ihn und will ihn aus seinem Chaos retten, obwohl er typischerweise besitzergreifend, extrem eifersüchtig, kontrollierend oder sogar aggressiv ist.

Außerdem sind Bad Boys aufbrausend und machen die Mädchen durch Manipulation von sich abhängig, was das Leben der Mädchen nicht gerade verbessert. Problematisch ist in diesen Lovestorys noch dazu, dass die Mädchen das toxische Verhalten der Boys akzeptieren. Sie sind einfach so verliebt und entschuldigen alles, ohne ehrlich die Realität anschauen zu wollen. Obwohl den Mädchen eigentlich Dinge widerfahren, die ungesund sind, trennen sie sich nicht. Warum sind die Mädchen in diesen Filmen und Büchern immer so von den Bad Boys hingerissen, obwohl sie sich oft toxisch verhalten?

Toxische Anziehung

Ich denke, es gibt einige Gründe, warum Mädchen von Bad Boys oft so angezogen sind, in Filmen und im echten Leben. Zum einen wollen sie dem Bad Boy aus seinen Problemen helfen. Er ist irgendwo innerlich kaputt und sie wollen ihm helfen, zu lieben, seine Emotionen zu zeigen und ein guter Mensch zu werden. Das ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Aber es scheint so, als würden die Mädchen in diesen Beziehungen oft den Retter spielen und die Jungs „reparieren“ wollen. Sie werden sozusagen zu Therapeuten. Das ist keine gesunde Basis, auf der sich beide gleichwertig gegenüberstehen. Zum anderen machen die Bad Boys das Leben der Mädchen spannend. Ihr abenteuerlustiger Lifestyle gibt den Mädchen einen Kick. Und weil ihnen dieser Kick gefällt, entschuldigen sie das toxische Verhalten der Bad Boys. Das Abenteuer mit dem Jungen ist für das Mädchen wichtiger, als dass sie richtig behandelt wird und das ist natürlich auch irgendwie toxisch.

Expectation vs. Reality

Diese Hollywoodstorys versprechen, dass uns extrem abenteuerliche und leidenschaftliche Beziehungen glücklich machen. Wir fallen irgendwie darauf rein, obwohl das ungesunde Verhalten der Charaktere beim genaueren Hinschauen ganz deutlich wird. Aber auch „normale“ Liebesfilme ohne offensichtlich toxisches Verhalten zeigen meist ein unrealistisches Bild von dem, was Liebe wirklich ist. Studien haben gezeigt, dass Fans von beliebten Liebesdramen überdurchschnittlich häufig unrealistische Erwartungen an Liebensbeziehungen haben, wie ständiges Abenteuer, Leidenschaft und Spannung.

Diese Erwartungen können natürlich die gesunde Entwicklung einer Beziehung erschweren, weil das Bild einer guten Beziehung einfach so verzerrt dargestellt wurde. Filme prägen also unser Bild von Liebe und Beziehung und vermitteln uns, dass eine tolle Beziehung all diese Elemente enthalten muss und nur das uns glücklich machen kann. Aber eigentlich werden wir ziemlich hinters Licht geführt. Besonders wenn es um toxische Abhängigkeitsbeziehungen geht. Eine solche Beziehung ist im echten Leben alles andere als romantisch und macht die Beteiligten sehr unglücklich und unfrei. Warum kann eine Beziehung nach dem Hollywood-Schema nicht wirklich erfüllend sein?

True Love

Das klingt vielleicht ein bisschen hart, aber ich denke, was diesen Storys eigentlich fehlt, ist wahre Liebe. Die intensive Leidenschaft wird als Liebe gesehen und steht zusammen mit dem Abenteuer im Vordergrund. Genau das ist es ja, was uns am Anfang so schnell anzieht. Aber auf Dauer bleibt es an der Oberfläche. Eine Liebe, die trägt und uns langfristig erfüllt, will immer das Beste für den anderen. Das heißt, es kann keine Liebe sein, wenn der eine dem anderem aufgrund seines toxischen Verhaltens schadet. Außerdem kann wahre Liebe nur aus einer freien Entscheidung entstehen. In toxischen Beziehungen ist es oft der Fall, dass beide auf ungesunde Art voneinander abhängig sind. Aus dieser Unfreiheit kann nie Zuneigung wachsen, die unabhängig von Gefühlen und Trieben besteht. Wahre Liebe fokussiert sich nicht hauptsächlich auf Abenteuer und Spaß, sondern ist ein gemeinsames Wachsen auf Augenhöhe, ein tagtägliches Hingeben in den kleinen Dingen des Alltags und ein gemeinsamer Blick für andere, das heißt, die Liebe weiterzugeben.

Gesunde vs. Toxische Beziehung im Überblick

Sexualität.
Sex steht nicht im Mittelpunkt einer gesunden Beziehung. Es ist der zwar der tiefste körperliche Ausdruck von Liebe, aber die Liebe geht über die körperliche Anziehung hinaus.
vs
Sexuelle Anziehung steht oft im Mittelpunkt einer toxischen Beziehung und ist der Grund, warum die beiden überhaupt zusammen sind. Ohne diese Anziehung hätte das Paar wenig, was es verbindet.

Gleichgewicht.
Gesunde Beziehungen basieren auf einem gewissen Gleichgewicht. Beide Partner sind im Idealfall auf einem ähnlichen psychischen Level und können sich auf Augenhöhe begegnen.
vs
Wenn dieses Gleichgewicht nicht gegeben ist, kann es zu ungesunden Abhängigkeiten kommen. Der eine braucht den anderen, weil er zum Beispiel seine emotionale Stütze ist, weil er so berühmt oder so reich ist…

Vertrauen.
Treue und Vertrauen sind in einer gesunden Beziehung selbstverständlich. Sie sind die Grundlage, auf der sich die Beziehung überhaupt erst vertiefen kann.
vs
Eine toxische Beziehung ist oft von Eifersucht, Geheimnissen und Misstrauen geprägt. Die Beteiligten leiden darunter, fühlen sich aber in dieser Spannung gefangen.

Hingabe.
Eine Beziehung ist dann gesund, wenn man immer mehr lernt, zum Geschenk zu werden. Für den Partner, für gemeinsame Kinder, für andere.
vs
Toxisch in einer Beziehung ist es, wenn ein Partner oder das Paar nur um sich selbst kreist und der Blick für die anderen fehlt.

Quelle: YOU!Magazin, Mai/Juni 2022, S. 38-39 | Text: Debbie Werner
2023-03-18T16:25:21+01:00
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